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Schwitzen auf dem Eis in Oberstdorf

Im Sommer herrscht im Eissportzentrum an der Roßbichlstraße Hochbetrieb. Wenn es draußen zu heiß ist, kühlen sich alle gern in der Eishalle ab. Doch sorgen die Trainerinnen und Trainer dafür, dass ihre Schützlinge dort ins Schwitzen geraten: Ob beim bekannten und beliebten IceDome, beim Eistanztraining oder beim Training der Paare und Einzelläufer aus Oberstdorf sowie der Gäste aus Dortmund, München und anderen Städten. Denn wer im Winter glänzen will, muss im Sommer hart arbeiten.

Rostislav Sinicyn mit Darya Grimm/MIchail Sabvitskiy beim Training

Rostislav Sinicyn, seine Ehepartnerin Natalia Karamysheva und Maria Tumanovska hatten im Juli und August viel zu tun. Jennifer Janse van Rensburg/Benjamin Steffan blieben den ganzen Sommer in der Heimat, da sie eine Reise in die USA nicht finanzieren konnten. Sie und die anderen Paare feilten an ihren neuen Programmen unter den wachsamen Augen des Trainerteams. Eigentlich hatten die Deutschen Eistanz-Meister eine Western-Kür machen wollen, aber weil es schwierig war, die passende Musik zu finden und die Trainer nicht ganz so überzeugt von der Idee waren, wählten sie den ungewöhnlichen georgischen Tango. Dieses Programm und der schwungvolle RD passen sehr gut zu dem attraktiven Paar.


Jennifer Janse van Rensburg/Benjamin Steffan

Benjamin: „Die Saisonvorbereitung läuft gut. Wir haben mit Pasquale Camerlengo die Programme aufgebaut und sind jetzt dabei, diese so zusammen zu puzzeln, dass wir es laufen können. Es sind zwei coole Programme geworden. Der Rest ist jetzt Arbeiten bis zu den Wettkämpfen und wir freuen uns darauf, die Programme zeigen zu können. Die Musikstücke haben uns wahnsinnig gefallen und wir finden uns in ihnen wieder. Die Idee war es, in der Kür in eine etwas mehr klassische Richtung zu gehen, um auch einen Kontrast zu den letzten Jahren darzustellen. Aber wir wollen einen etwas anderen Tango zeigen. Aus der vergangenen Saison haben wir mitgenommen, dass wir noch viel arbeiten müssen. Wir haben nach wie vor das Ziel Olympische Spiele 2026 und das ist ein realistisches Ziel unserer Meinung nach.“
Jennifer: „Den RD hat sich Benni ausgedacht. Er hat viel 80s-Musik gehört. In Kür habe ich wiederum den Titel gefunden. Er war schon länger auf meiner Playlist. Wir haben einen groben Fahrplan für die Saison. Die finanzielle Situation unseres Verbandes macht es natürlich nicht leichter, aber wir probieren jetzt, eine Struktur reinzubringen und das auch finanziell zu stemmen. Wir sind mit dem Verband im Gespräch.“


„Carmen“ für Grimm/Savitskiy

Darya Grimm/Michail Savitskiy starten als Junioren früher in die Saison und hatten ihre Programme bereits länger fertig – den RD zum Foxtrott „Ticket to the Moon“ vom Electric Light Orchestra sowie die Kür zu „Rondo Capriccioso“ und einer modernen Version des Klassikers „Carmen“. Das hochtalentierte Duo will an seine Erfolge aus der vergangenen Saison anknüpfen, als sie das Juniorenfinale erreichten. Bei der Junioren-WM allerdings mussten sie wegen Krankheit aufgeben.  Die Schülerin und der Informatikstudent hoffen, neue Akzente zu setzen und sich gleichzeitig für die Meisterklasse zu empfehlen. Dabei hilft, dass Grimm nun an zwei weiteren Tagen vormittags zum Training kommen darf, anstatt zur Schule zu gehen. „Ich darf in Sport sowie weiteren Fächern in denen ich sehr gut bin, fehlen“, sagte die 16-Jährige.


Das neue norwegisch-schwedische Tanzpaar Milla Rudd Reitan/Nikolaj Majorov war ebenfalls eifrig bei der Sache. Beide Programme sind inzwischen fertig: “The Race” von Yello und “I Love You” im RD und “The Spy and the Liar” (Filmmusik “I Expect You to Die”) für die Kür. Sinicyn ist mit den Fortschritten seines neuesten Paares sehr zufrieden: „Sie sind sehr fleißig, trainieren viel.“ Trainingskollege Savitskiy stimmte zu und lobte den erst vor kurzem vom Einzellauf zum Eistanz gewechselten Majorov. „Er macht seine Sache wirklich gut und hat zum Beispiel die Hebungen sehr schnell gelernt.“

Die Stimmung im Training ist locker, es wird viel gelacht. Was nicht zuletzt an Sinicyn liegt, der selten um einen Scherz verlegen ist. Dabei aber entgeht seinen aufmerksamen Augen nichts – keine zu flache Kante, kein falscher Schritt, keine zu lasche Bewegung. Immer wieder korrigieren er, aber auch Karamysheva und Tumanovska die Paare, darunter die Junioren Mia-Lee Meyer/Davide Calderari. „Sie sind das einzige deutsche Juniorenpaar, das die Altersgrenzen für die Olympischen Jugendspiele erfüllt“, bemerkte Sinicyn, der für sie auf Starts im Junioren Grand Prix hoffte.

Die ehemalige Paarläuferin Anna Felicia Fröhlich ist mittlerweile in die junge Disziplin „Solo Dance“ gewechselt. Für sie existieren nationale Wettbewerbe, aber die Sportlerinnen (sowie einige Sportler) hoffen auf internationale Starts in der Zukunft, nachdem die ISU Interesse an dieser Kategorie gezeigt hat. Aus der südukrainischen Hafenstadt Odessa kam das junge Paar Tatiana Bielodonova/Ivan Kachur im Juli für zehn Tage ins Allgäu, um bei Tumanovska zu trainieren. „Die Bedingungen in Odessa sind sehr schlecht. Mal ist die Halle zu, mal fällt der Strom aus, mal gibt es Luftalarm“, sagte die Trainerin. In Kürze sollte eigentlich eine kleine Halle öffnen, allerdings bombardierte die russische Armee nach dem Ausstieg aus dem Getreideabkommen gerade Odessa Ende Juli verstärkt. Maximilian Pfisterer und Nikita Remeshevskiy kehrten nach ihren langen Verletzungspausen aufs Eis zurück und hielten nach neuen Partnerinnen Ausschau. Verletzungen blieben im intensiven Sommertraining auch bei anderen nicht aus. Janse van Rensburg hatte sich im Frühsommer bei einem Trainingsunfall die Schulter ausgekugelt, musste aber nicht operiert werden. Savitskiy wiederum zog sich eine Zerrung im Rücken zu und konnte eine Zeitlang keine Hebungen trainieren.


20 Nationen beim IceDome
Das von Michael Huth geleitete internationale Trainingslager IceDome hat sich fest etabliert und feierte in diesem Jahr bereits seinen 20. Geburtstag. Huth kann auf eine lange und erfolgreiche Tradition zurückblicken. „Ich weiß noch, wie wir angefangen haben und heute kommen Teilnehmer von damals mit ihren eigenen Schülern als Trainer zurück“, sagte er. Zu den international bekannten Coaches zählten in diesem Jahr Mariusz Siudek aus Polen und der Franzose Stannick Jeannette. Das Schweizer Trio Alexia Paganini, Lukas Britschgi und Noah Bodenstein machte ebenso mit wie die Zweiten der Deutschen Meisterschaften, Kai Jagoda und Kristina Isaev. Nicole Schott war bis August im Urlaub. Insgesamt waren pro Woche Camp 60 bis 90 Läufer dabei.  Britschgi arbeitete gerade mit Choreograph Andrea Vaturi an seinen neuen Programmen. Der EM-Dritte zeigte ein neues Selbstbewusstsein und geht noch mehr aus sich heraus als früher. Mit diesem Rüstzeug kann der Schweizer auf eine erfolgreiche Saison hoffen. Paganini bereitete sich auf ihr Comeback vor. „Mir geht es wieder viel besser“, sagte die zweimalige Olympia-Teilnehmerin, die eine längere Pause nach Verletzungen eingelegt hatte. Im KP interpretiert sie Tangomusik, in der Kür wird sie zum „Schwarzen Schwan“ – der an Peter Tchaikovskys „Schwanensee“ angelehnten Filmmusik. Jagoda behält sein KP aus der Vorsaison und geht in der Kür mit „And the Waltz Goes On“ neue Wege. Dieser Walzer wurde von dem Hollywood-Schauspieler Anthony Hopkins komponiert.


Kai Jagoda

„Wir sind jetzt im Zeitplan drin und ich kann mich tatsächlich wenig beschweren. Die Kür ist neu, das KP haben wir gelassen, da gibt's nur vom Ablauf her Veränderungen. Der (vierfache) Toeloop ist vorn, der Axel ist das zweite Element. Die Kür ist eine ganz neue Richtung. Ich habe sie mit Herrn Sinicyn und mit Herrn Huth aufgebaut. Wir hatten gesagt, dass wir dieses Jahr etwas Klassisches machen, weil wir das Repertoire erweitern wollen. Der vierfache Toeloop ist im KP und in der Kür geplant und wir sind zurzeit eigentlich ziemlich optimistisch. Wir bringen zum ersten Mal in die Kür den Lutz mit rein, zwei Axel und wir versuchen, den zweiten Teil ein bisschen aufzustocken. Nach einiger Verarbeitungszeit habe ich aus der vergangenen Saison sehr viel Motivation mitgenommen. Ich musste tatsächlich wirklich mal weg vom Eis und Abstand bekommen. Ich habe viel mit meinem Sportpsychologen zusammengearbeitet. Es waren ja doch mehr Tiefen als Höhen in der letzten Saison. So knapp (am Deutschen Meistertitel) waren wir noch nicht dran wie letztes Jahr. Schon bei den Challengern war es so, dass ich eigentlich eine gute Vorbereitung hier in Oberstdorf hatte und es einfach nicht aufs Eis gebracht habe. Aber jetzt danach ist wirklich sehr, sehr viel Motivation herausgesprungen. Ich hatte wieder mit Lukas (Britschgi) eine sehr gute Vorbereitung, aber dieses Jahr noch mal eine Stufe höher. Ich bin sehr optimistisch zurzeit. Ich möchte am allerliebsten mit der Nebelhorn Trophy starten. Ich habe schon letztes Jahr gemerkt, wie wohl ich mich hier auf dem Eis fühle.“

Neben diesen bekannten Namen waren Exoten auf dem Eis. „Zum ersten Mal haben wir Läuferinnen aus Kuwait dabei“, erzählte Huth. Die jungen Mädchen liefen stolz mit ihren „IceDome“-Akkreditierungen herum und gönnten sich nach dem Training ein Eis in Oberstdorf. Sportlich stehen sie noch am Anfang, aber Kuwait ist erst seit kurzem Mitglied in der ISU. Florian Just und sein Juniorenduo Aliyah Ackermann/Tobija Harms erfuhren im Juli endlich, dass sie in der Saison international bei den Junioren starten dürfen, nachdem die ISU eine Übergangsregel für die Paare beschloss, die von der Anhebung des Mindestalters für die Meisterklasse betroffen sind. Niko Ulanovsky (siehe Interview S. xx) bereitete seine Gruppe mit Sophie Erhardt zusammen mit der Berlinerin Ria Schiffner auf die Saison vor und lud Alexander Abt als Gasttrainer ein, was bei den Läufern sehr gut ankam.


Annette Dytrt zu Gast
Die mehrmalige Deutsche Meisterin Annette Dytrt kam mit einer Schülerin aus der Schweiz zu Besuch und hatte Zeit für ein kurzes Interview. Später dann war sie beim IceDome in Italien als Trainerin dabei.

Annette Dytrt
„Yannik (Bonheur) und ich laufen weiterhin Shows, weil es uns wahnsinnig viel Spaß macht. Ich coache jetzt in der Schweiz und es ist schön abwechslungsreich, auch mal rauszukommen und in den Shows aufzutreten. Wir trainieren nebenbei, damit wir fit bleiben. Ansonsten trainiere ich gerne Kinder und ich möchte das, was ich gelernt habe, weitergeben. Natürlich ist es das Ziel, irgendwann mal irgendeine kleine Maus zur Europameisterschaft zu begleiten. Ich habe jetzt drei Schülerinnen. Ich bin gerade dabei, etwas aufzubauen. Ich war vorher in der Skate Academy bei Gheorghe Chiper. Dort bin ich jedoch ausgestiegen und möchte gerne etwas Eigenes machen. Am 1. April habe ich in Zürich angefangen. Die Bedingungen sind eigentlich gut. Da, wo ich im Moment bin, hast du von morgens bis abends Eis. Es gibt aber auch Hallen, in denen gibt es nicht so viel Eiszeit. Aber ich bin ehrlich, es ist nicht so einfach, als Trainerin in der Schweiz anzufangen, weil die anderen Trainer natürlich schon ihre Plätze haben und nicht gerne jemanden Neues reinlassen. Ich versuche trotzdem reinzukommen, ich bin offen für Zusammenarbeit. Ich möchte niemanden etwas wegnehmen. Ich habe meine Kinder und bin sehr glücklich mit ihnen. Wer mit mir arbeiten möchte, dem helfe ich gerne aus und ich möchte zeigen, dass es auch anders geht als nur mit Ellenbogen. Ich finde Zusammenarbeit ist viel, viel besser. Es ist sehr wichtig, dass man sich gegenseitig hilft.“

Stützpunktleiter Daniel Wende war ebenso den ganzen Sommer gut beschäftigt. Neben seinen alltäglichen Aufgaben organisierte er den ISU-Paarlauf-Lehrgang im August. „Wir hatten so viele Anmeldungen, dass wir Paare auf die Warteliste setzen mussten“, berichtete er. Außerdem suchte der ehamlige Paarläufer Sponsoren für die finanziell klamme DEU, um den Sportlern und Trainern Reisen zu Wettkämpfen zu ermöglichen. Die kleine Halle 2 war wieder in Betrieb, nachdem sie endlich repariert werden konnte. Das Eissportzentrum ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Oberstdorf, weil es jedes Jahr viele Sportlerinnen und Sportler oft samt Anhang ins Allgäu lockt, ob zum IceDome, zum Adult Wettbewerb oder zum gelegentlichen Training. Sie sorgen jährlich für etwa zehn Millionen Euro Umsatz mit Übernachtungen, Einkäufen, Restaurantbesuchen und Eismiete.