Nelli Zhiganshina/Alexander Gazsi: Neustart und Seitenwechsel
Bei der WM in Shanghai haben Nelli Zhiganshina/Alexander Gazsi ihre Karriere beendet. Leider konnten sie sich nicht auf dem Eis von ihrem Publikum verabschieden, da Alexander vor dem Kurztanz krank wurde und sie daher nicht antreten konnten.
Q: Alex, kannst du noch einmal erzählen, was passiert ist und warum du nicht laufen konntest?
Alex: Wir wissen immer noch nicht ganz genau wie und was geschehen ist. Auf jeden Fall habe ich die ganze Nacht auf der Toilette verbracht. Wir sind am Morgen in die Halle früh zum Training gefahren, aber beim Aufwärmen habe ich gemerkt, dass es nichts bringt. Wir sind zurück ins Hotel und haben gedacht, dass die kleine Pause vielleicht noch ausreicht, aber es war einfach nicht genug. Wir sind zum Einlaufen noch aufs Eis gegangen, aber danach war einfach Schluss. Nach den fünfeinhalb Minuten – ich bin auch ein bisschen eher runter – letztendlich war auch das nein vom Teamarzt ausschlaggebend. Er hat gemeint, dass er das nicht verantworten möchte. Die Trainer sind davon ausgegangen, dass es nichts bringt, eine schlechte Performance zu machen. Der Arzt hat gesagt, aus medizinischer Sicht bringt das auch nichts. Als auch Nelli gesagt hat, dass sie auch der Meinung ist, dass es eher ungünstig wird, habe ich mich am Ende überreden lassen. Außerdem war dann schon die Zeit vorbei. Die zwei Paare sind dann schon gelaufen, wir wären als drittes dran gewesen, und damit war die Entscheidung dann schon gefallen. Das war sehr bitter, weil wir uns auf die WM gefreut haben. Wir haben gut gearbeitet, nochmal alles gegeben zwischen Europa- und Weltmeisterschaft. Wir wollten uns, den Trainern und auch allen anderen, die uns immer unterstützt haben, ein schönen Abschluss geben, aber leider konnten wir das nicht so durchziehen.
Q: Wann habt ihr euch dazu entschlossen, dass die WM euer letzter gemeinsamer Wettbewerb sein wird?
Nelli: Die letzte Entscheidung fiel bei der EM, nach dem Short Dance. Da haben wir einfach verstanden, dass es sich gar nicht mehr lohnt, weiterzulaufen.
Alex: Nach den Spielen hatten wir ja gesagt, dass wir auf jeden Fall die nächste Saison voll powern und alles geben wollen. Wir haben im Sommer sehr gut gearbeitet, wir waren sehr weit, sehr gut vorbereitet im Vergleich zu den anderen Jahren waren wir viel, viel weiter. Als wir dann zu den anderen Wettbewerben gefahren sind, vor allem zu den Grand Prix, war schon abzusehen, wie sich die Saison entwickelt. Wir haben leider nicht das bekommen, was wir erhofft haben, weder an Levels bzw. Keypoints, noch an Komponenten noch natürlich Plätze bzw. bei den Grand Prix Medaillen, denn wir waren schon eigentlich davon ausgegangen, dass es endlich mit den Medaillen beim Grand Prix klappt. Da war schon klar, wo der Zug hinfährt. Bei der EM kam dann noch das letzte i-Tüpfelchen, um zu sagen, das war alles schön und gut, aber das ist es einfach nicht mehr wert – die Arbeit, und das, was am Ende rauskommt und wir können das so nicht mehr durchziehen.
Q: Was ist aus eurer Sicht das Highlight eurer Karriere?
Nelli: Zombie…
Alex: Die Kür in Kanada (WM 2013), das war schon das Highlight, weil es schon cool ist, während des Wettbewerbs standing ovations zu bekommen und ich glaube nicht, dass es da so oft gibt. Gut, das gibt es bei den Kanadiern in Kanada, aber für ein ausländisches Paar, das nicht um die Medaillen kämpft… das war einer der coolsten Momente für uns. Und natürlich die Olympischen Spiele. Das war unser großes Ziel über lange Jahre. Als wir es dann geschafft haben, war das natürlich sehr bewegend.
Nelli: Natürlich sehe ich das genauso. Olympia ist das größte Erlebnis meines Lebens. Ich war jeden Tag dort so begeistert. Ich wünsche jedem Menschen der Welt, so etwas zu erleben. Das ist so stark, man kann Olympia mit nichts vergleichen. Kein anderer Wettbewerb ist damit zu vergleichen, das ist so etwas Besonderes. Wir hatten richtig Glück, dass wir beim Teamwettbewerb gelaufen sind. Das gab es das erste Mal überhaupt und wir haben mitgemacht. Es ist schon grandios. Wir hatten praktisch die Möglichkeit, bei zwei Wettbewerben bei Olympia zu laufen. Mein Bruder war auch da und ich war doppelt glücklich. Es war eine geniale Zeit.
Alex: Was man auch sagen muss, die zehn Jahre waren weitgehend verletzungs- und krankheitsfrei. Wir haben nie etwas gehabt. Es war das erste Mal, dass uns so etwas passiert ist, ausgerechnet zum Schluss. Aber zehn Jahre weitgehend verletzungs- und krankheitsfrei zu bleiben, ist natürlich für ein Sportlerleben ganz gut. Die letzten Wochen vor der WM waren schon zäh, das war die Luft dann schon raus, auch bei den Trainern. Das ist ja immer so, natürlich nochmal doppelt, weil wir wussten, dass es das letzte Mal sein wird. Da haben wir angefangen, alte Programme anzugucken. Rückblickend muss ich sagen, wir haben eigentlich immer coole Programme gehabt. Ich hoffe, dass in zehn Jahren die Leute und die Sportler vor allem noch daran denken und sagen, da gab es etwas Besonderes. Das wäre mein persönlicher Wunsch für die Zukunft .
Q: Ist die Zombie-Kür euer Lieblingsprogramm?
Nelli: Unser liebstes lustiges Programm. Mein absolutes Lieblingsprogramm ist Swan Lake von diesem Jahr, mit Abstand, von der Choreographie, der Musik, der Idee, den Kostümen, allem her. Beim Short Dance war es die Polka, das Programm mit dem Regen. Aber Zombie ist das beste lustige Programm und wir machen es immer noch bei Schaulaufen. Jedes Mal, wenn ich das Kostüm anziehe und mein Gesicht weiß schminke und wir diese Grimassen machen, habe ich so viel Spaß und ich bin glücklich.
Alex: Ich habe kein direktes Lieblingsprogramm. Ich finde es nur cool, wenn man in Rollen schlüpfen kann, auch in diesem Jahr, der Short Dance zum Beispiel. Das sind komplett unterschiedliche Sachen, die kann man kaum vergleichen. Die Reaktionen waren natürlich immer die stärksten bei Zombie und auch bei der Geschichte, die wir letzte Saison hatten. Vielleicht war das Programm nicht so überragend, aber die Charaktere, wenn ich da mit meiner Brille rauskam, da waren die Reaktionen auch immer sehr lustig. Ich denke, wir haben eine Handvoll gute Sachen gemacht, und darauf können wir sehr stolz sein.
Q: Was bedauert ihr und würdet im Rückblick anders machen?
Nelli: Nichts.
Alex: Ich hätte mir vielleicht eher die Haare abgeschnitten (lacht). Eigentlich sieht es ganz cool aus und es ist sehr bequem. Ich glaube, wir hätten alles trotzdem so gemacht. Na ja, ich weiß nicht, ich glaube, so wie der Weg gelaufen ist, von (Trainerin Elena) Kustarova die Basis für den Anfang, eher etwas na ja, normaler in Anführungsstrichen, das war am Anfang auch notwendig. Dann der Wechsel zu mehr künstlerischer Freiheit würde ich mal sagen, zu Zhulin, das war gerade die große Zeit als sie in Moskau die Shows hatten. Das war damals alles ganz neu für uns, mit Zhulin und vor allem Max Staviski, der dann die ganzen Sachen gemacht hat. Dann der nächstgrößere Schritt war dann der zu Ilia Averbukh. Der für uns einschneidendste Schritt war, nach Deutschland zu gehen. In Oberstdorf haben wir dann viel Ruhe bekommen, eben Beständigkeit mit den beiden Trainern. Sie haben uns auch ganz viel Freiheit gelassen und haben uns machen lassen, vor allem in der Vorsaison. Sie haben sich null eingemischt, dafür müssen wir auch nochmal danke sagen. Wir sind mit dem fertigen Programm, mit den Musiken gekommen, sie haben vorher nicht gewusst, was wir machen.
Nelli: Obwohl das sicher sehr schwer ist für einen Trainer.
Alex: Das ist die absolute Katastrophe für einen Trainer. Sie haben uns komplett vertraut und das war schon cool. Dann haben wir das das erst Mal gezeigt und da haben wir verschiedene Geschichten. Manchmal fanden sie es supertoll und manchmal wie jetzt war erst einmal Ruhe (lacht).
Nelli: Sie waren einfach so geschockt, sie wussten gar nicht, was sie sagen sollten. Aber dann haben sie darüber geschlafen.
Alex: Das waren so die Abschnitte, da würde ich nichts anders machen. Klar, man hätte sich fragen können, im Bezug auf die sportlichen Erfolge, die Medaillen, wären vielleicht politisch noch andere Schritte möglich gewesen, aber dafür kann ich in den Spiegel schauen und wir können sagen, dass wir von unserer Seite aus alles getan haben.
Q: Die Entwicklung, etwas Besonderes zu machen kam also vor allem durch Zhulin und Staviski. Wir habt ihr zuerst darauf reagiert?
Alex: Das erste andere war dann schon in Oberstdorf, bei Zhulin haben wir den Tango gemacht…
Nelli: Singin‘ in the Rain.
Alex: Stimmt, das war das erste andere, aber das war halt Zhulin. Das ist so ein typisches Programm, das zu ihm passt. Das erste wirklich andere Programm war der bayerische Short Dance mit Sinicyn. Das war schon Mut zur Hässlichkeit, so war der Ausspruch damals. Damit ging es los. Dann sind wir wieder zu Max (Staviski) und er hat die Kür gemacht. Der bayerische Short Dance war der Knackpunkt.
Q: 2009 habt ihr einen herben Rückschlag erlebt, als ihr in Deutschland aufs Abstellgleis geschoben wurdet, weil Nelli noch keine Staatsbürgerschaft hatte und damit klar war, dass ihr bei den Olympischen Spielen in Vancouver nicht werdet starten können. Wir habt ihr diesem Rückschlag überwunden?
Nelli: Das war eine schreckliche Saison. Ich hatte damals das erste und einzige Mal in meinem Leben Depressionen. Mir war so schlecht, ich wusste gar nicht, was ich machen sollte.
Alex: In dem Jahr waren wir richtig gut und haben viele andere in anderen Wettbewerben geschlagen.
Nelli: Genau, alle anderen Wettbewerbe einen Monat vorher hatten wir gewonnen.
Alex: Im Nachhinein kann man das verstehen, das sind so verbandtechnische Sachen, aber für uns in dem Moment war es ein absoluter Schock. Damit war unsere Saison vorbei. Wir sind zurück nach Moskau und für alle anderen ging es weiter – EM, WM. Alle um uns herum haben wie wild trainiert und sich gefreut und wir waren außen vor. Das war hart. Dann ging das los mit dem Zirkus. Es ging Schritt für Schritt und geendet ist es mit der Zirkusschule. Wir haben dann diese Flugnummer aufgebaut und sehr viel off ice gemacht. Das ging dann so weit, dass wir im Winter danach das erste Mal bei Daniel Weiss mit der Flugnummer aufgetreten sind. Ich denke, das hat uns ein bisschen aus dem Loch rausgezogen. Plus der nächste Winter wurde wieder erfolgreich.
Nelli: Wir haben ein wenig abgeschaltet vom Eiskunstlauf und haben etwas anderes gemacht, ohne Eis, und ich denke, deswegen konnten wir mit frischer Kraft arbeiten.
Alex: Und wir sind nach Deutschland gegangen. Da haben mehrere Sachen reingespielt. Wir waren natürlich einfach uninteressant für die Gruppe Zhulin, wir waren raus, dann kam dazu die Order von oben, keine Ausländer plus wir haben verstanden, wenn wir zu den Spielen wollen, müssen wir nach Deutschland. Dann war die Entscheidung eigentlich klar. Es hat eine Weile gedauert, bis wir gefunden haben wie und wo und was. Das Ende vom Lied war Oberstdorf, wo ich niemals hingehen wollte.
Nelli (lacht): Aber am Ende ist Oberstdorf meine Heimat geworden. Ich liebe Oberstdorf, es ist so schön. Es ist manchmal langweilig, aber wir sind da, um zu trainieren. Alle haben gesagt, bist du bescheuert, von Moskau, der stressigen Stadt, nach Oberstdorf, da wirst du vor Langweile sterben. Aber nein, ich liebe Oberstdorf jetzt viel mehr als Moskau.
Q: Wie nah wart ihr 2009 dran, die Brocken hinzuschmeißen?
Alex: Das weiß ich nicht mehr. Ich bin zum Glück nicht nachtragend, das finde ich gut an mir und, was ich nicht so gut finde, aber in diesem Moment schon, ich kann mich nicht mehr erinnern, ich vergesse sehr schnell. Ich denke, wir waren schon nah dran aufzuhören. Aber mehrmals, nicht nur an dieser Stelle. Da waren genug Momente, in denen andere vielleicht gesagt hätten, wir schmeißen hin, die können uns alle mal.
Nelli: Ich habe das nie gedacht. Ich wusste immer, dass ich das durchziehen würde.
Q: Jetzt habt ihr eure Wettkampfkarriere abgeschlossen, aber ihr habt gesagt, dass ihr noch gerne in Shows auftreten möchtet. Aber wie geht es mit euch weiter?
Alex: Bei mir ist es so, dass ich ab April das Sportlerdasein gegessen ist, mit allen Konsequenzen. Ich bin noch weiter bei der Bundeswehr, weil ich noch Restdienstzeit bzw. Berufsförderungsdienst habe. Ich habe schon vor, noch etwas zu studieren, aber ich bin mir noch nicht so sicher was. Ich bin mittlerweile alt genug, um zu verstehen, wenn man etwas macht, muss es einem Spaß machen, sonst bringt es nichts. Wenn ich in meinen Freundeskreis schaue, sehe ich immer öfter, dass diejenigen, die direkt nach der Schule etwas gelernt oder studiert haben, meistens gar nicht in dem Beruf arbeiten, weil es nicht das Richtige war. Mir ist klar, dass ich auf Anhieb nichts Ideales finden kann, aber ich möchte auf jeden Fall etwas machen, das mir Spaß macht, so als Ziel. Bis ich genau weiß, was das ist, werde ich erst einmal in der Schweiz, in Dübendorf, bzw. in Zürich-Oerlikon, in der Skate Academy Switzerland den Eistänzern helfen. Das geht direkt nach Ostern los, die erwarten mich schon. Dort gibt es mindestens zwei Seniorenpaare und wir hoffen, dass wir noch jemanden dazu bekommen. Es ist definitiv genug zu tun, es ist von null auf hundert auf die andere Seite. Ich freue mich total darauf und bin auch sehr aufgeregt, ob ich das alles auf die Reihe bekomme, weil Gheorghe Chiper mir ziemlich viel Verantwortung überträgt. Schauen wir mal, ob es gut geht. Das sehen wir spätestens im Sommer.
Q: Aber Nelli möchte ihre Karriere fortsetzen. Warum?
Nelli: Ich bin noch nicht bereit dazu, vom Eislaufen wegzugehen und dieses Wettkampfadrenalin aufzugeben.
Alex: Da muss ich kurz einhaken, ich bin ja auch nicht bereit, vom Eislaufen wegzugehen. Daher steige ich nur um, auf die andere Seite sozusagen. Und, das Adrenalin, das hatte ich seit zwei Jahren nicht mehr. Das einzige Mal, als ich es nochmal hatte, war bei den Spielen, beim Teamwettbewerb, da war ich overload. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb ich mittlerweile okay damit bin aufzuhören.
Nelli: Ich habe noch nichts Festes, ich probiere mal (mit anderen Partnern) und hoffentlich klappt es. Vielleicht komme ich nochmal zu Olympischen Spielen. Ich will auf jeden Fall noch. Es ist immer schwierig, wenn man mit einem Partner läuft. Der eine will das eine, der andere will etwas anderes und man muss immer einen Kompromiss finden. Ich würde sehr gerne in Oberstdorf bleiben, ich liebe Oberstdorf, aber wie gesagt, ich weiß nicht, was mein eventueller neuer Partner will und was seine Möglichkeiten sind. Ich trenne mich definitiv nicht komplett von Oberstdorf. Da ist jetzt mein Leben. Ich bin aber auch dazu bereit, woanders hinzugehen und bereit, etwas anderes zu lernen. Ich habe jetzt gelernt, wie man in Deutschland lebt und das war richtig cool. Noch mal etwas Neues zu lernen, wäre auch gut.
Q: Hat es bei dir zu Unzufriedenheit geführt, als Alex gesagt hat, dass er aufhören möchte?
Nelli: Nein. Ich kann verstehen, dass er aufhören möchte. Wir haben am Anfang ehrlich gesagt auch gedacht, dass wir beide aufhören. Aber je näher dieser Moment kam, desto stärker fühlte ich, ich kann nicht aufhören. Manchmal denkt man, ich kann nicht mehr, ich bin so müde, ich brauche das nicht mehr. Aber als der Moment näher kam, wusste ich, dass ist nur wegen Müdigkeit oder Stress, dann denkt man, man will nicht mehr, aber in Wahrheit ist es so, dass ich das doch liebe und ich kann nicht einfach so aufhören. Ich habe auch gedacht – Partnerwechsel, das ist cool. Aber jetzt kann ich es mir kaum vorstellen, eine andere Hand zu halten, nach zehn Jahren. Das kann ich mir noch überhaupt nicht vorstellen. Bei Aljona klappt es, und das gibt mir auch Hoffnung.
Q: Aber gemeinsamen Showauftritten steht das eurer Meinung nicht im Wege?
Alex: Mit Showauftritten meinen wir vor allem die Flugnummer. Das ist, was für die Veranstalter vor allem interessant ist. Das müssen wir schon zusammen durchziehen, wenn ich jetzt nicht zu fett werde im Sommer. Dann muss ich ein stärkeres Stahlseil nehmen und Nelli muss mich einfach wieder durch die Programme zerren. (lacht)
Q: Danke für das Interview und alles Gute für die Zukunft!